Heiko Bartlog hat mich im Rahmen der Blogparade “Achtung. Zukunft. – 8. PM Camp Berlin Online” gefragt, welche Gedanken und Fragen ich hinsichtlich der Zukunft habe.
Letztes Jahr habe ich meine Zertifizierung zum SAFe Program Consultant (SPC) gemacht. Weniger aus inneren Antrieb (ich sehe den Fokus auf Zertifizierung eher skeptisch), sondern weil zunehmend Kunden danach fragen.
Über SAFe kann man denken, was man will - aber schon im Training ist mir immer klarer geworden, dass SAFe, LeSS, Spotify oder was auch immer eigentlich nach den selben Regeln und Prinzipien funktionieren und nur in der Ausprägung etwas unterschiedlich sind. Hier ein Link, falls Du mehr zu den Unterschieden zwischen den 3 skalierten Frameworks erfahren möchtest.
Aber das soll gar nicht das Thema sein. Ich möchte hier auf ein Kapitel in den Schulungen eingehen, welches mich immer wieder trifft. Ich habe schon einige Schulungen gehalten und dieser Abschnitt macht mich immer besonders nachdenklich: gleich die erste Lektion "Thriving in the Digital Age with Business Agility".
Hier wird auf ein Muster der technischen Revolutionen aus der Vergangenheit hingewiesen (Quelle: Carlota Perez, Technological Revolutions and Financial Capital: The Dynamics of Bubbles and Golden Ages)
So etwa einmal pro Generation erscheint ein disruptiver Trend, bzw. Technologie. Carlota beschreibt, dass diese technologischen Revolutionen radikale Veränderungen hervorbringen. Zuerst im Finanzbereich (Investment) gefolgt von Produktionskapital (Güter und Dienstleistungen).
Dies sind absolut tiefgreifende und "world-shaking" Disruptionen, kein Stein bleibt auf dem anderen. Eine neue ökonomische Ordnung entsteht! Dies passiert in 3 Phasen:
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Installation Period
Neue Technologien und Kapitalansammlungen führen zu einer kambrischen Explosion von neuen Playern. -
Turning Point
Existierende Unternehmen passen sich an und meistern die neue Technologie oder eben nicht und werden zu den Relikten vergangener Tage. -
Deployment Period
Das Produktionskapital und die neuen Technologie-Giganten übernehmen die ökonomische Landschaft.
Mein Lieblingsbeispiel, weil recht unbekannt, ist die Canal Mania in England ~1770 bis 1790. Dort wurden zu dieser Zeit jede Menge Kanäle gebaut um die Wasserwege zu verkürzen. Dies hat dazu geführt, dass der Transport von Kohle so günstig wurde, was der Kohlepreis um 50% gesunken ist. In der Folge gab es massive Kapitalzuflüsse, die letzten Endes die Stellung des UK als Weltmacht manifestiert haben - das zweite britische Weltreich schickte sich an die Welt zu beherrschen.
Heute liegt der Vergleich mit den Tech Giganten nahe:
- Amazon hat Whole Foods übernommen und schickt sich an, mit seiner Kapitalmacht die bisherigen Player zu vertreiben (Forbes, August 2017)
- Der größte Uhrenhersteller der Welt (nach Umsatz) ist Apple - und die sind erst seit 2015 im Markt! (Investopedia 2019)
- Tesla ist mit einem Marktwert von über 100 Milliarden Dollar mehr Wert als VW (Handelsblatt 2020)
Allen drei ist gemein, dass sie die aufgebaute Kompetenz in der Softwareentwicklung in Verbindung mit Hardware nun nutzen um die alten Platzhirsche auf ihrem eigenen Markt anzugreifen.
So hat Tesla bspw. seine Modelle um ein einheitliches Betriebssystem herum gebaut und kann damit schon seit langem Updates übers Internet senden (Over the Air) - unsere deutschen Konzerne haben ein Wirrwar von verschiedenen Systemen hingewurstelt: 70-120 Steuersysteme für Fensterheber, Sensoren, Bremsen etc. werkeln vor sich hin und sind alle von unterschiedlichen Lieferanten (auf diese Art kann man ja super die Kosten drücken) mit unterschiedlichen Sprachen entwickelt wurden. Kein Wunder, dass es so lange braucht, bis eine innovative Idee es mal in ein Serienauto schafft!
Viele etablierte Unternehmen in Deutschland haben mittlerweile erkannt, dass Digitalisierung weniger mit Handyspielen zu tun hat sondern echten Kundennutzen und Wettbewerbsvorteile bringt: ein Softwareupdate, welches, 'na sagen wir mal, die Abgassteuerung wieder gesetzeskonform macht, könnte auf Knopfdruck ausgespielt werden statt über kostenintensive Rückrufe. Über Lizenzbedingungen könnten sich die Eigentümer noch nicht mal weigern, die Updates aufzuspielen.
Und hier komme ich wieder auf die SAFe Lektion zurück:
Genau hier liegt meiner Erfahrung nach die Herausforderung, die selbst Herkules Angst machen würde: die deutschen Unternehmen versuchen, diese gigantische Aufgabe mit den alten Mitteln zu bewältigen:
- Ein Autobauer hat angekündigt, bis zu 15.000 Softwarentwickler einzustellen - die Organisation wird aber nicht nach Value Streams aufgebaut sondern wie gewohnt nach Komponenten Expertise. Also genau die Aufteilung, die erst zu diesem Software-Babel geführt hat!
- Ein Hersteller von Steckverbindern hat mir mal folgenden Auftrag gegeben:
"Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter mehr Eigenverantwortung zeigen und selbstorganisiert arbeiten!"
Nach den ersten Coaching Sessions habe ich dann einen Anruf erhalten:
"Wir wollen, dass Sie das Mindset unserer Mitarbeiter ändern, aber hören Sie auf denen zu erzählen, sie sollen sich Gedanken über unsere bewährten Prozesse Gedanken machen!".
3 Wochen später wurde das Projekte "Mindset Change" beendet.
Ich habe noch dutzende Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung parat, wo unsere Arbeitskultur dem Wandel im Weg steht. Wenn ich in die Zukunft schaue, sehe ich noch so einige schmerzhafte Learnings in unseren Unternehmen.
Aber ich habe auch viele positive Erfahrungen gemacht:
- Bei einem Autobauer (welche Ironie) gibt es in einer Abteilung statt "Das Bester oder nichts" regelmäßig einen Failure Award.
- In einer Bank hängt meine "Frühstücksübung" für Story Mapping im Meeting Raum der Geschäftsführung - da hängt sonst nur Kunst!
- Viele Teilnehmer meines Trainings "Agile Basics" erzählen mir, dass sie jetzt aktiver bei der Gestaltung der Unternehmensprozesse mitwirken.
- Ich selbst habe als typischer ZDF* Program Manager 3 Jahre Entwicklung gebraucht, bis ich das Meta-System erkannt habe. Wenn ich das kann, schaffen dies auch andere! (*ZDF = Zahlen, Daten, Fakten)
Unter dem Strich bin ich eher skeptisch, was die Zukunft betrifft. Corona, Umwelt, Wirtschaft, Politik - schlechte Nachrichten gab es schon immer, aber so geballt wie seit den letzten 2 Jahren habe ich es noch nie wahrgenommen. Und viele ziehen sich in der Krise auf bewährte Muster zurück.
Das ist aber kein Grund aufzugeben! Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass wir den aktuellen Turning Point meistern - noch ist es nicht zu spät! Mich motiviert, dass ich mit meiner Arbeit und dem Teilen meiner Erfahrungen einen Beitrag dazu leisten kann, dass wir als Gesellschaft mit diesem Turning Point umgehen können.
Wie Roland Dürre in seinem Beitrag geschrieben hat: "Lasst uns trotz allem zuversichtlich bleiben!"
Liebe Grüße
Maik
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